Anne-Kristin Mai - Saengerin, Chorleiterin und Autorin

CHRISTIAN HERMANN WEIßE (1801-1866)

Am 18.8.1801 wird dem schon betagten Dichter Christian Felix Weiße ein Enkelsohn, Christian Hermann Weiße, geboren. Die Eltern, der Sächsische Oberhofgerichtsrat Prof. Dr. Christian Ernst Weiße und seine Gattin Christiana geborene Weiß, wohnen "An der Neuen Kirche Nr.256" in Leipzig, besuchen aber sehr oft den “Gutshof Unteren Teils” in Stötteritz.
Christian Hermann wird Nikolaischüler, 1818 Student der Rechtswissenschaft, Philosophie, Kunst und Literatur.
1822 promoviert er zum Dr. phil., 1823 habilitiert er sich mit einer staatsrechtlich-historischen Arbeit und wird Privatdozent.
1828 kann er als außerordentlicher Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig wirken. Er heiratet 1829 Laura Richter, die schöne Tochter eines Ökonomieinspektors aus Lindenau. Beide ziehen in die Leipziger Petersstraße 120, "drei Treppen". Sie pflegen, wie einst der Dichter, eine besondere Gastfreundschaft mit Universitätskollegen, Leipziger Honoratioren und Studenten bei Kunst und Literatur.

1832 stirbt der Vater und einstige Rektor der Universität Leipzig, Prof. Christian Ernst Weiße, und wird in des Dichters Ruhestätte auf dem Alten Johannisfriedhof begraben. Seine Gattin Christiana war ihm bereits 1826 vorausgegangen. Vier Kinder bleiben zurück, doch der Stötteritzer Gutshof droht zu verwaisen. Am 25. Mai 1833 schreibt Christian Hermann Weiße an seinen Onkel: "Mehr durch die Verhältnisse genötigt, als in der Überzeugung, dass es so das Beste für mich sei, habe ich mich entschlossen, den Besitz des väterlichen Gutes vorläufig zu übernehmen. Wir wohnen jetzt sämtlich dort, ich komme nur zu den Vorlesungen und sonstigen Geschäften in die Stadt."

1837 zieht sich Weiße von der akademischen Tätigkeit zurück und arbeitet wissenschaftlich im beschaulichen Stötteritz.
Die theologische Fakultät der Universität Jena verleiht ihm die Ehrendoktorwürde. 1845 wird er Honorarprofessor und 1847 ordentlicher Professor an der Theologischen Fakultät Leipzig. 1859 folgt die Berufung zum Ordinarius der theoretischen Philosophie.
Er ist oft kränklich, nervös und gereizt und leidet unter Nervenfieber wie einst zwei Schwestern seines Vaters.
Doch ein immenser Fleiß und große Neugier auf vielerlei wissenschaftlichen Gebieten lassen unzählige Abhandlungen entstehen.

Seine Werke behandeln Homer, Schiller, Goethe und den Verehrer seiner Tante Dorchen - Jean Paul. Es folgen ästhetische Exkursionen über das Hässliche und Komische bis hin zum Witz, religionsphilosophische und bibelkritische Werke, später auch gereimt. Er wünscht sich die Versöhnung des Christentums mit der neuen Bildung seiner Zeit. Er dringt tief in die idealistische Philosophie ein und hat kein Verständnis für den Materialismus. Er wendet sich gegen den Streit unter den Konfessionen und wünscht sich deren Vereinigung. Als profunder Kunstkenner widmet er sich vor allem Bach, Mozart und Beethoven, nicht aber der Zukunftsmusik. Er verehrt große Theaterleute, interessante Schauspielerinnen und korrespondiert mit Bettina von Arnim. Des Wissenschaftlers Sicht einer idealen Welt wird von Freunden und Kollegen nicht immer verstanden oder geteilt. Weißes Lebensinhalt ist die "kämpfende Liebe". Er verzehrt sich in Aufopferung für seine Studenten. Seine Thesen sind umstritten. Deshalb neigt er zur Verbitterung. Das Gesicht ist von Kampf und Resignation geprägt. Doch seine wahren Freunde sehen in ihm einen Menschen "von seltener Reinheit und Höhe"
.
Am 27. Mai 1856 übernimmt er die Begräbnisstätte seiner Vorfahren auf dem Alten Johannisfriedhof. Er ist 55 Jahre alt. Noch 10 Jahre überreichen Schaffens liegen vor ihm. Im Jahre 1866 plant er seinen Ruhestand. Ein lang gehegter Wunsch soll in Erfüllung gehen - die erstmalige Reise nach Rom und Athen für längere Zeit. Doch bald tobt die Choleraepedemie in Leipzig und Stötteritz. In der Hoffnung, der fürchterlichen Brechruhr zu entgehen, versucht man, die Häuser mit schwefeligen Dämpfen auszuräuchern. Hunderte Leipziger sterben unter elenden Bedingungen, auch viele Stötteritzer. Im August steckt sich Christian Hermann Weiße an und erliegt ohne langen Todeskampf am 19. September seinem Leiden.

Im Nekrolog des Protestantenvereines vom 5.10.1866 schreibt Dr. Rudolf Seydel:
"Sein Herz gehörte der Menschheit, vor allem ihren höchsten und allgemeinsten Interessen,.................so war es ihm Herzensbedürfnis, mit dem ganzen hohen sittlichen Pathos seiner Seele wirksam zu sein." Weißes liebevoll gepflegtes “philosophisches Kränzchen" mit den Universitätskollegen Ahrens, Drobisch, Fechner, Hermann, Lipsius und Seydel trauert besonders mit der tief betroffenen Gattin und den vier Kindern um den Verlust des Gatten, Vaters und Freundes.

Im Leipziger Tageblatt vom 7. Oktober 1866 lesen wir über Christian Felix Weißes Leben im Gutshof Stötteritz:
"Jeden Sonntag konnte man eine Elite seiner Zuhörer und anderer junger Freunde bei ihm in zwangloser, doch niemals trivialer Unterhaltung mit ihm, den Seinigen und untereinander finden. Sein Haus war eine Art Platonische Akademie, der lange Baumgang auf seinem Landsitze, in dem er an Sommertagen mit seinen Besuchern zu wandeln pflegte, eine peripatetische Halle im Sinne der alten Philosophen." Frau Laura Weiße hatte indessen das Mittagessen bereitet und des Öfteren die Grenze des Haushaltsbudgets erreicht. Ihre Großmut kam auch der Stötteritzer Kinderbewahranstalt zugute.

Alle gedruckten Werke Christian Hermann Weißes sind in der Leipziger Universitätsbibliothek und der Deutschen Bücherei zu finden, seine Briefe und dienstliche Schriften im Universitätsarchiv.

Anne-Kristin Mai

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