Am 18.8.1801 wird dem schon betagten Dichter Christian Felix Weiße
ein Enkelsohn, Christian Hermann Weiße, geboren. Die Eltern, der
Sächsische Oberhofgerichtsrat Prof. Dr. Christian Ernst Weiße und seine
Gattin Christiana geborene Weiß, wohnen "An der Neuen Kirche Nr.256" in
Leipzig, besuchen aber sehr oft den “Gutshof Unteren Teils” in
Stötteritz.
Christian Hermann wird Nikolaischüler, 1818 Student der
Rechtswissenschaft, Philosophie, Kunst und Literatur.
1822 promoviert er zum Dr. phil., 1823 habilitiert er sich mit einer
staatsrechtlich-historischen Arbeit und wird Privatdozent.
1828 kann er als außerordentlicher Professor an der Philosophischen
Fakultät der Universität Leipzig wirken. Er heiratet 1829 Laura Richter,
die schöne Tochter eines Ökonomieinspektors aus Lindenau. Beide ziehen
in die Leipziger Petersstraße 120, "drei Treppen". Sie pflegen, wie
einst der Dichter, eine besondere Gastfreundschaft mit
Universitätskollegen, Leipziger Honoratioren und Studenten bei Kunst und
Literatur.
1832 stirbt der Vater und einstige Rektor der Universität Leipzig, Prof.
Christian Ernst Weiße, und wird in des Dichters Ruhestätte auf dem Alten
Johannisfriedhof begraben. Seine Gattin Christiana war ihm bereits 1826
vorausgegangen. Vier Kinder bleiben zurück, doch der Stötteritzer
Gutshof droht zu verwaisen. Am 25. Mai 1833 schreibt Christian Hermann
Weiße an seinen Onkel: "Mehr durch die Verhältnisse genötigt, als in der
Überzeugung, dass es so das Beste für mich sei, habe ich mich
entschlossen, den Besitz des väterlichen Gutes vorläufig zu übernehmen.
Wir wohnen jetzt sämtlich dort, ich komme nur zu den Vorlesungen und
sonstigen Geschäften in die Stadt."
1837 zieht sich Weiße von der akademischen Tätigkeit zurück und arbeitet
wissenschaftlich im beschaulichen Stötteritz.
Die theologische Fakultät der Universität Jena verleiht ihm die
Ehrendoktorwürde. 1845 wird er Honorarprofessor und 1847 ordentlicher
Professor an der Theologischen Fakultät Leipzig. 1859 folgt die Berufung
zum Ordinarius der theoretischen Philosophie.
Er ist oft kränklich, nervös und gereizt und leidet unter Nervenfieber
wie einst zwei Schwestern seines Vaters.
Doch ein immenser Fleiß und große Neugier auf vielerlei
wissenschaftlichen Gebieten lassen unzählige Abhandlungen entstehen.
Seine Werke behandeln Homer, Schiller, Goethe und den Verehrer seiner
Tante Dorchen - Jean Paul. Es folgen ästhetische Exkursionen über das
Hässliche und Komische bis hin zum Witz, religionsphilosophische und
bibelkritische Werke, später auch gereimt. Er wünscht sich die
Versöhnung des Christentums mit der neuen Bildung seiner Zeit. Er dringt
tief in die idealistische Philosophie ein und hat kein Verständnis für
den Materialismus. Er wendet sich gegen den Streit unter den
Konfessionen und wünscht sich deren Vereinigung. Als profunder
Kunstkenner widmet er sich vor allem Bach, Mozart und Beethoven, nicht
aber der Zukunftsmusik. Er verehrt große Theaterleute, interessante
Schauspielerinnen und korrespondiert mit Bettina von Arnim. Des
Wissenschaftlers Sicht einer idealen Welt wird von Freunden und Kollegen
nicht immer verstanden oder geteilt. Weißes Lebensinhalt ist die
"kämpfende Liebe". Er verzehrt sich in Aufopferung für seine Studenten.
Seine Thesen sind umstritten. Deshalb neigt er zur Verbitterung. Das
Gesicht ist von Kampf und Resignation geprägt. Doch seine wahren Freunde
sehen in ihm einen Menschen "von seltener Reinheit und Höhe"
.
Am 27. Mai 1856 übernimmt er die Begräbnisstätte seiner Vorfahren auf
dem Alten Johannisfriedhof. Er ist 55 Jahre alt. Noch 10 Jahre
überreichen Schaffens liegen vor ihm. Im Jahre 1866 plant er seinen
Ruhestand. Ein lang gehegter Wunsch soll in Erfüllung gehen - die
erstmalige Reise nach Rom und Athen für längere Zeit. Doch bald tobt die
Choleraepedemie in Leipzig und Stötteritz. In der Hoffnung, der
fürchterlichen Brechruhr zu entgehen, versucht man, die Häuser mit
schwefeligen Dämpfen auszuräuchern. Hunderte Leipziger sterben unter
elenden Bedingungen, auch viele Stötteritzer. Im August steckt sich
Christian Hermann Weiße an und erliegt ohne langen Todeskampf am 19.
September seinem Leiden.
Im Nekrolog des Protestantenvereines vom 5.10.1866 schreibt Dr. Rudolf
Seydel:
"Sein Herz gehörte der Menschheit, vor allem ihren höchsten und
allgemeinsten Interessen,.................so war es ihm
Herzensbedürfnis, mit dem ganzen hohen sittlichen Pathos seiner Seele
wirksam zu sein." Weißes liebevoll gepflegtes “philosophisches
Kränzchen" mit den Universitätskollegen Ahrens, Drobisch, Fechner,
Hermann, Lipsius und Seydel trauert besonders mit der tief betroffenen
Gattin und den vier Kindern um den Verlust des Gatten, Vaters und
Freundes.
Im Leipziger Tageblatt vom 7. Oktober 1866 lesen wir über Christian
Felix Weißes Leben im Gutshof Stötteritz:
"Jeden Sonntag konnte man eine Elite seiner Zuhörer und anderer junger
Freunde bei ihm in zwangloser, doch niemals trivialer Unterhaltung mit
ihm, den Seinigen und untereinander finden. Sein Haus war eine Art
Platonische Akademie, der lange Baumgang auf seinem Landsitze, in dem er
an Sommertagen mit seinen Besuchern zu wandeln pflegte, eine
peripatetische Halle im Sinne der alten Philosophen." Frau Laura Weiße
hatte indessen das Mittagessen bereitet und des Öfteren die Grenze des
Haushaltsbudgets erreicht. Ihre Großmut kam auch der Stötteritzer
Kinderbewahranstalt zugute.
Alle gedruckten Werke Christian Hermann Weißes sind in der Leipziger
Universitätsbibliothek und der Deutschen Bücherei zu finden, seine
Briefe und dienstliche Schriften im Universitätsarchiv.
Anne-Kristin Mai